Rebalancing-Strategien: Aktien kaufen, wenn‘s fällt und verkaufen, wenn’s steigt! – KzV November 2021

Wie in unserem letzten Kommentar zur Vermögensanlage von Oktober 2021 erläutert, quantifizieren wir die Risikobereitschaft jedes unserer Kunden, indem wir diesen nach einem Geldbetrag fragen, den das für ihn zu verwaltende Vermögen möglichst nicht unterschreiten soll (kundenindividuelle Wertuntergrenze). Damit wir die individuell vereinbarten Wertuntergrenzen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch jederzeit einhalten können, ist es unumgänglich, die Kundendepots gemäß einer sogenannten Wertsicherungsstrategie zu steuern, bei der aufgrund der prozyklischen Handelsregel zwangsläufig auch (implizite) Wertsicherungskosten anfallen, auch wenn wir versuchen, diese durch eine Reihe von Maßnahmen möglichst gering zu halten.

Vor dem Hintergrund, dass die Kapitalmärkte sich in der Vergangenheit nach jedem größeren Einbruch über kurz oder lang auch wieder erholt haben, stellt sich die berechtigte Frage, ob für langfristig orientierte Anleger, die die erforderliche Risikobereitschaft und Risikotragfähigkeit mitbringen, vorübergehende Wertverluste ihres Depots hinzunehmen, nicht eine alternative Anlagestrategie besser geeignet ist, die bewusst auf Wertsicherung verzichtet und damit auch nicht durch Wertsicherungskosten zu Lasten der Langfristrendite beeinträchtigt wird. Eine solche Anlagestrategie ist die Rebalancing-Strategie, die auf einer antizyklischen Handelsregel basiert, und damit das genaue Gegenstück zu einer prozyklischen Wertsicherungsstrategie darstellt.

Bei einer Rebalancing-Strategie wird zunächst eine strategische Ziel- oder Soll-Quote für den risikoreichen Aktienanteil und damit implizit auch für den restlichen, risikoarmen Anleihenanteil festgelegt. Diese Soll-Aktienquote orientiert sich meist an der gewünschten Zielrendite des Anlegers oder seiner Risikobereitschaft bzw. Risikotragfähigkeit. Aufgrund des am Kapitalmarkt unumgänglichen Zielkonflikts zwischen Rendite und Risiko versteht es sich von selbst, dass eine hohe Zielrendite zwangsläufig eine hohe Risikobereitschaft bzw. Risikotragfähigkeit des Anlegers voraussetzt und umgekehrt.

Aufgrund der regelmäßig unterschiedlichen Kursentwicklung von Aktien und Anleihen verändert sich auch der Wert des Aktien-Teilportfolios innerhalb eines „Rebalancing-Depots“ anders als der Wert des Anleihen-Teilportfolios. Steigt beispielsweise der Aktienmarkt stärker als der Anleihenmarkt, so nimmt die Ist-Quote des Aktien-Teilportfolios zu und die des Anleihen-Teilportfolios ab. Um die tatsächliche Ist-Quote von Aktien und Anleihen mit der strategischen Soll-Quote wieder in Einklang zu bringen, müssen Aktien in einem steigenden Aktienmarkt zu Gunsten von Anleihen antizyklisch verkauft werden. Bei einem fallenden Aktienmarkt werden Aktien dagegen antizyklisch hinzugekauft (antizyklische Handelsregel: „Aktien kaufen, wenn’s fällt und verkaufen, wenn’s steigt“).

Das ideale Marktumfeld für eine Rebalancing-Strategie ist ein seitwärts tendierender Aktienmarkt mit kurzfristig kräftigen Kursschwankungen nach oben und unten. In diesem Umfeld werden Aktien nach einem kräftigen Marktrückgang bei der Anpassung der nun „zu geríngen“ Ist-Aktienquote an die höhere Soll-Quote „günstig“ eingekauft und anschließend nach einem kräftigen Marktanstieg bei der Anpassung der nun „zu hohen“ Ist-Quote an die geringere Soll-Quote mit Kursgewinnen wieder verkauft (und so weiter). Die antizyklische Handelsregel führt in diesem Umfeld trotz eines insgesamt unveränderten Aktien- und Anleihenmarkts zu einer positiven Rendite, die im Fachjargon als Rebalancing-Bonus bezeichnet wird.

Für eine Wertsicherungsstrategie ist ein seitwärts tendierender Aktienmarkt dem gegenüber ein denkbar ungünstiges Marktumfeld. In diesem Umfeld müssen Aktien nach einem kräftigen Marktrückgang aufgrund des nunmehr verringerten Risikobudgets zur Einhaltung der Wertuntergrenze mit Kursverlusten verkauft werden. Nach einem kräftigen Marktanstieg werden sie dagegen aufgrund des nunmehr erhöhten Risikobudgets zu deutlich höheren Kursen wieder zurückgekauft (und so weiter). Die prozyklische Handelsregel führt in diesem Umfeld trotz des insgesamt unveränderten Aktien- und Anleihenmarkts zu einer negativen Rendite, die im Wesentlichen die impliziten Wertsicherungskosten abbildet.

In einem trendmäßig rückläufigen Aktienmarkt ist eine Wertsicherungsstrategie einer Rebalancing-Strategie (mit einer anfänglich vergleichbaren Aktien-Quote) zunächst deutlich überlegen. Während der Wertverlust bei der Wertsicherungsstrategie durch die Wertuntergrenze limitiert wird, ist dieser bei der Rebalancing-Strategie potenziell unbegrenzt. Erst wenn der Aktienmarkt sich wieder „erholt“, ändert sich die relative Attraktivität der beiden Strategien. Während die Wertsicherungsstrategie mangels Risikobudget allenfalls noch eine geringe Aktienquote aufweist und infolgedessen von der Erholung kaum profitiert, nimmt die Rebalancing-Strategie zumindest im Ausmaß ihrer strategischen Aktienquote an der Erholung teil. Vor diesem Hintergrund ist es bei einer Wertsicherungstrategie grundsätzlich ratsam, nach einem „Crash“, sofern möglich, zusätzliches Risikobudget zur Verfügung zu stellen, beispielsweise durch eine Absenkung der Wertuntergrenze, um an der zu erwartenden Erholung des Aktienmarktes zu partizipieren.

In einem trendmäßig steigenden Aktienmarkt wird eine Wertsicherungsstrategie dann eine höhere Rendite erzielen als eine Rebalancing-Strategie (mit einer anfänglich vergleichbaren Aktien-Quote), wenn das infolge des Marktanstiegs zunehmende Risikobudget für eine Erhöhung der Aktien-Quote genutzt wird, welche die der Rebalancing-Strategie übersteigt. Sind die Aktienquoten beider Strategien im langfristigen Mittel dagegen vergleichbar, so wird die Rebalancing-Strategie (aufgrund der Vereinnahmung des Rebalancing-Bonus und der Vermeidung von Wertsicherungskosten) auch in diesem Marktumfeld besser abschneiden.

Insgesamt lässt sich aus dem Vergleich beider Strategietypen für die Anlagepraxis Folgendes festhalten: Infolge der Vermeidung von Wertsicherungskosten und der Vereinnahmung des Rebalancing-Bonus ist (unter der realistischen Annahme eines im Trend steigenden Aktienmarktes) die langfristig zu erwartende Rendite einer Rebalancing-Strategie höher als die einer (risikoadäquaten) Wertsicherungsstrategie. Sofern ein Anleger sowohl in Bezug auf seine (mentale) Risikobereitschaft als auch seine tatsächliche Risikotragfähigkeit in der Lage ist, das kurzfristig höhere Schwankungsrisiko einer Rebalancing-Strategie zu tragen, sollte er diese bei einem langfristigen Anlagehorizont gegenüber einer Wertsicherungsstrategie präferieren. Ist er dazu nicht in der Lage oder nicht willens, bleibt ihm mangels Alternative nur eine Wertsicherungsstrategie oder eine sehr risikoarme Ausrichtung einer Rebalancing-Strategie mit einer entsprechend niedrigen Aktienquote.